Granada

7. Oktober 2016

Sightseeing für Anfänger

Nach den Tagen in den Bergen stellte sich in Granada bei mir ein kleiner Kulturschock ein. Dabei müsste man eigentlich meinen, ich hätte mich inzwischen an all die Eigenarten spanischer Großstädte gewöhnt. In Wirklichkeit tut man das aber nie. Zumindest nie so richtig.

Kaum hatte ich die Innenstadt erreicht, war ich umgeben von einem hektischen Treiben aus Omnibussen, Touristen und Menschen, die offensichtlich auf dem Weg zum Flughafen waren oder gerade eben von diesem kamen.

Wer in Granada als Fußgänger etwas auf sich halten will, so scheint es, der zieht einen Trolley hinter sich her. Der Trolley ist der neue Rucksack! Sie gibt es in den verschiedensten Varianten. Da ist garantiert für jeden Möchtegern-Reisenden etwas dabei: von quietsch-pink über das Hipster-Modell mit Karomuster oder die lederne Business-Variante. An jeder Straßenecke, jeder Kreuzung ist ihr knatterndes Rollen über das Kopfsteinpflaster deutlich zu vernehmen. – Stefan wäre begeistert gewesen: Um nicht peinlich aufzufallen, hatte er in Órgiva seinen Rollkoffer vorsichtshalber in einem Hotel deponiert, während er der Hippie-Kommune Beneficio einen Besuch abstattete. In Granada wäre damit absolut hip gewesen. Klare Sache.

Der Campingplatz, auf dem ich einkehrte, war ein kleines, deutsches Refugium, weit draußen hinter den letzen Ausläufern der Sierra Nevada. In Reih und Glied gesellten sich die deutschen Nummernschilder der Wohnmobile auf den Stellplätzen aneinander und ich machte mir einen Spaß daraus, die einzelnen Landkreise zu erraten. – Manchmal war es weniger schwer: Vor mir machte sich ein Camper aus Karlsruhe breit und hinter mir einer aus Schwäbisch Hall. Die Nummernschilder hätte man sich eigentlich sparen können. Die Dialekte reichten zur Identifizierung meiner Stellplatznachbarn völlig aus. Ich fühlte mich fast ein bisschen wie zu Hause, so inmitten der ganzen Badenser und Schwaben, denen man vorsichtshalber einen kleinen Sicherheitsabstand gewährte, sodass sich die Mundarten bloß nicht allzu sehr vermischten.

All dieses Geschwätz wurde allenfalls ab und zu von dem ungesunden Husten meiner direkten Zeltnachbarin unterbrochen. Die lies sich zwar kaum blicken. Das heißt, sie brachte mehr oder weniger den ganzen Tag in ihrem Zelt zu. Durch die Selbstgespräche, die sie offenbar führte, lies sie aber gewisse Zweifel daran, ob sie denn nun alleine in diesem hauste oder hustete oder nicht. Im Grunde genommen konnte ich die ganze Situation nicht so recht einschätzen. Im Grunde genommen war mir das aber auch egal.

Was soll ich sagen? Mich hätte es kaum verwundert, wenn ich inmitten dieser illustren Gruppe, kaum angekommen, möglichst schnell wieder das Weite gesucht hätte. Schließlich besticht Granada in kaum einem Reiseführer durch die Beliebtheit seiner Campingplätze (es gibt nur einen) unter deutschen Wohnmobilreisenden und anderem Gesocks.

Nein, in diesen (den Reiseführern) heißt es vielmehr, man dürfe sich unter keinen Umständen die Alhambra engehen lassen. Als hätte ich einen derartigen Reiseführer irgendwann einmal gelesen… Nein, natürlich nicht. Irgendjemand muss mir wohl davon erzählt haben. Kaum verwunderlich, denn jeder, aber absoult jeder, der auch nur Ansatzweise von Granada berichtet, erwähnt in einem seiner Nebensätze mit hundertprozentiger Sicherheit die Alhambra. So auch ich.

Um sicher zu stellen, dass dieser touristische Marketingstreich nicht irgendwann einfach so mal abbricht, benannte man zudem auch noch die örtliche Biermarke nach der berühmten Stadtburg. Wer an dieser Stelle nun Werbung für wen macht, bleibt zu diskutieren…

Ich wäre also wirklich gerne recht zügig Richtung Alhambra aufgebrochen (oder zumindest in ihre Nähe) um (A) dieses touristische Pflichtprogramm möglichst schnell hinter mich zu bringen und (B) ebenfalls möglichst schnell dieser skurrilen Campingplatzwelt den Rücken zu kehren. Aber wie konnte es auch anders kommen, ich saß erst einmal eine geschlagene Stunde fest, als mir nun bereits zum 4. Mal die Zeltstange brach und mir die Ideen zu deren Reparatur ebenfalls so langsam ausgingen.

Die Wäsche wollte auch noch gewaschen werden, also war es mal wieder kurz vor Einbruch der Dunkelheit, bis ich mich auf den Weg Richtung Innenstadt begab. Immerhin hatte sich der Großstadtcampingplatz, was das touristische Treiben angeht, bestens organisiert und stattete jeden Gast bei Ankunft mit einem Bündel kleiner Zettel aus, auf denen sich außer dem Wifi-Code und der Hausordnung auch die beste Busverbindung ins Stadtinnere ausfindig machen lies.

Als ich kurze Zeit später, nach eigenem Ermessen, dann vor der vermeintlich richtigen Haltestelle stand, stellte sich mir nur eine einzige, kleine, weitere Frage: Hatte der Mensch, der den Zettel geschrieben hat, auch nur ansatzweise mal den Busfahrplan gelesen? – Auf dem Zettel stand, ich solle bei der Haltestelle „Cathedral“ aussteigen um ins Zentrum zu gelangen. – Macht Sinn. Kathedralen befinden sich überdurchschnittlich oft im Zentrum. Nur existierte auf dem Busfahrplan diese Haltestelle nicht. Natürlich nicht. Wäre ja auch zu schön gewesen.

Ich beschloss also einfach mal, es auf gut Glück zu versuchen, quetschte mich in den völlig überfüllten Bus und wartete darauf, dass alle (am besten gleichzeitig) wieder aus diesem aussteigen würden, nur um es ihnen in genau diesem Moment gleich zu tun.

Einige Haltestellen später war mir dieses Handlungsprinzip zu wider und ich beschloss, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Ich wartete kurz und stieg, als ich der Meinung war, dies wäre nun eine Haltestelle, die besonders gut als Äquivalent für das Wörtchen „Innenstadt“ herhalten könne, einfach aus. Und siehe da! Alle taten es nun MIR gleich. Ob sich das einige Haltestellen früher genauso abgespielt hätte, werde ich wohl nie erfahren.

Gasse
Ich hatte es ziemlich gut erwischt mit meinem Timing, keine zwei Straßenecken weiter und ich befand mich direkt im arabischen Viertel. Was ich hier jetzt sollte, war mir zwar noch nicht so ganz klar, aber das würde sich schon noch ergeben. Ich lies mich also erst einmal auf ein kleines Bier in einer ebenso kleinen Bar nieder, aus der ich ohne das Bier dann recht schnell auch wieder verschwand, als ich erfuhr, was das Bier kostete.

Ich zog vorbei an diversen Läden, die alle mit dem selben orientalischen Krimskrams um ihre Kundschaft warben und deswegen eigentlich auch alle gleich aussahen. An einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit, wäre ich sicherlich in einem von ihnen hängengeblieben und hätte mich mit Räucherstäbchen und einem schicken neuen Rucksack eingedeckt oder so. Aber nach shoppen war mir heute nicht.

Auch die altbekannten, herumlungernden Afrikaner, die einen mit zwei kurzen „Schhh-schhh-Lauten“ über ihre unlauteren Geschäfte aufklären wollen, konnten mich nicht wirklich überzeugen. Also verirrte ich mich ein bisschen weiter in dem Straßengewirr, entdeckte eine kleine Goa-Party auf einer Dachterasse, die mich aber auch nicht interessierte und zog weiter. Hätte ich mir ein bisschen mehr Mühe gegeben, hätte ich sicherlich den einen oder anderen Ausblick auf die Alhambra erhaschen können. Aber dafür wäre am nächsten Tag sicherlich auch noch Zeit. Was war bloß los mit mir?

großes Bier
Ich probierte es in einer zweiten Bar und bestellte mir in der Hoffnung auf ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis ein etwas größeres Bier, eine Pinta. Der Besitzer José verkündete mir mit stolzen Worten, ich sei heute Abend sein erster Gast, deswegen würde die Pinta für mich besonders groß ausfallen. Was sie aber nicht tat. Wie soll sie das auch? Es ist schließlich eine Pinta. Und er hat ja sicherlich nicht für jeden ersten Gast des Abends ein besonders großes Pinta-Glas im Schrank. Aber nach dem kurzen Versuch, eine Diskussion mit ihm darüber anzufangen, wie es sich in Deutschland mit besonders großen Bieren verhält und was er überhaupt unter einem halben Liter verstehe, zog ich lieber den kürzeren.

Die Bar erschien mir aber recht nett, deshalb wollte ich mich ungern als penibler Deutscher ins Gedächtnis einbrennen. Also bedankte ich mich freundlich und verzog mich an einen der wackeligen Tische auf den Plaza. Immerhin gesellten sich zu der „extra-großen“ Pinta nun noch ein paar Tapas hinzu, so konnte er wieder ein bisschen Punkten. Was ihm zumindest schon mal eine zweite Pinta einbrachte (ebenso groß oder klein wie die erste des Abends, wer konnte das schon so genau wissen), dieses Mal serviert mit Nudelsalat.

Straßenecke
Die „Taberna del Beso“ überzeugte nicht nur durch ihre Gemütlichkeit, die unebenen Pflastersteine auf dem Vorplatz und ihren schnuckeligen Namen. Auch die Straßenecke „Cuesta de las Arremangadas“ wusste José zu folge, durch ihre Geschichte zu überraschen. Liefen hier doch früher hauptsächlich aufgetakelte Frauen herum. (So zumindest der Wortlaut des Straßennamens bzw. des Barkeepers.) Ich verstand zwar zuerst, dass hier Frauen mit hochgezogenen Röcken herumliefen. Aber wie war das noch gleich? Man versteht immer das, was man verstehen will. Genau. Noch ein Bier bitte!

Als mir das mit den wackeligen Tischen auf schiefem Untergrund zu blöd wurde und es ebenfalls anfing mich etwas zu frösteln (ich war nur in Flip Flops unterwegs, meine halb zerfallenen Chucks durften heute mal in die Waschmaschine), zog ich ins Innere der Kneipe um, bestellte mir noch was leckeres zum Snacken und schrieb ein wenig an meinen Reiseberichten. So lange, bis auch der letzte Cent aus meinem Geldbeutel aufgebraucht war.

Pissoir

Bahnhofskneipe: Klobild – 1. Tag

Den nächsten Tag wollte ich nun etwas anders angehen lassen. Zumindest die Alhambra sollte drin sein. Doch bis auf, dass ich eigentlich nichts von dem machte, was ich mir für den Tag ursprünglich vorgenommen hatte, unterschied sich dieser Tag nur auch wenig von dem vorangegangenen.

Nun ja, zumindest wusste ich nun ganz sicher wo ich aus dem Bus aussteigen würde, sollte es denn irgendwann einmal in die Innenstadt gehen. Davon, wie ich von dort aus zu dem famosen Aussichtspunkt gen Alhambra kommen würde, hatte ich aber nach wie vor keinen blassen Schimmer. Doch bevor ich mich auch nur ansatzweise mit dieser Frage auseinandersetzen würde, müsse ich mich eh erst einmal um mein Mittagessen kümmern. Und so verlief ich mich nun schon das zweite Mal in Granada. – Dieses Mal im Alcampo, dem spanischen Äquivalent des Hypermarchés Auchan, nicht zu verwechseln mit Carrefour, doch mindestens genauso groß.

Eigentlich wollte ich mir nur geschwind etwas zum Mittagessen kaufen, musste dann aber ziemlich schnell feststellen, dass es keine gute Idee ist, ohne einen Plan bzw. Einkaufszettel, durch einen Supermarkt dieser Größenordnung zu schreiten. Das, was dem einen oder anderen Tante Emma Laden, auf meinem Weg durch Spanien, fehlte, war hier in zigfacher Ausführung vorzufinden. Mehr noch, allein der Weg vom Käseregal zu den Backwaren glich einer kleinen Wanderung um den Pico del Veleta auf der Sierra Nevada. Zumindest war es bedingt durch die vielen Kühlregale saumäßig kalt.

Als ich mir darüber bewusst wurde, dass ich hier nicht unter einer Stunde wieder heraus käme, machte ich aus der Not eine Tugend und platzierte dezent eine Flasche Pale Ale in einem Kühlschrank neben der Kasse. So hätte ich wenigstens ein leckeres, kaltes Getränk, sobald ich die Strapazen des Einkaufs hinter mich gebracht hab.

Während ich also sichtlich schnellen Schrittes durch die kalten Gänge eilte, stellte sich mir noch eine ganz andere Frage: Was solle ich überhaupt kochen? (Oft lasse ich mich an dieser Stelle einfach vom Sortiment des Supermarktes inspirieren und entscheide dann. Hier klappt das nicht. Viel zu viel Auswahl.) Ich entschied mich trotzdem. Und zwar für ein paar Wraps. Da könne ich zur Not alles rein packen. Doch ohne Creme Fraiche geht das nicht. Und bis ich die gefunden hatte, verging eine weitere halbe Stunde. Es wurde immer kälter. Ich konnte nur hoffen, dass es dem Bier im Kühlschrank ebenso erging.

Man kann wohl mit „gutem“ Gewissen behaupten, dass ein wesentlicher Teil dessen, was ich von Granada gesehen hab, aus dem maßlos großen Lebensmittelsortiment des Alcampos bestand. Die liebevoll verhasste Sightseeing-Tour wurde also abermals auf den Abend verlegt. Nach diesem kleinen Großeinkauf brauchte ich erst einmal ’ne Pause.

Alhambra
Als ich mich dann endlich mal mit dem Bus in die Stadt bequemte, führte mich mein ausgeprägter Orientierungssinn immerhin intuitiv in die Richtung, in die sich alle Touristen so gesellten. Den Lemmingen gleich bewegen sich die Ströme nun schon seit mehreren Dekaden an einem jeden Abend hinauf auf die kleine Erhöhung des Albaicín-Viertels, bis auf den Plaza vor der Kirche San Nicolás. Dort versammeln sich kurz vor Sonnenuntergang hunderte von Menschen, um den pittoresken Ausblick auf die Alhambra zu genießen. – Und schön isser. Das muss man ihm lassen.

Alhambra
Es entsteht ein Schauspiel aus vielen kleinen hellen Bildschirmen, die über den Köpfen der staunenden Menge aufleuchten, während am Horizont die Sonne untergeht und die Alhambra in buntes Scheinwerferlicht eintaucht. Begleitet wird das illustre Treiben von landestypischer Flamenco-Musik und dem üblichen Wirrwarr an Marktständen, die sich immer dann zusammenfinden, sobald es ihnen mindestens 50 Touristen vormachen. Hier waren jedoch ganz eindeutig mehr am Start.

Plaza San Nicolás
Der Platz war geradezu am bersten, so eng gedrängt standen die Menschen an der Mauer, die die Grenze zwischen anstrengend guter Aussicht und gemütlicher Zurückgezogenheit markierte. Immer wieder drängte sich mir dieses ganz bestimmte, karikative Bild auf, wie Lemminge über eine tiefe Klippe ins Meer purzeln. Ein Glück, daß es bei dem Kopfkino blieb.

Granada
Nachdem nun auch ich mich das eine oder andere Mal an die Mauer bequemt hatte, mich gut festhielt und ein paar Fotos erhaschte, wollte ich dem Abend noch eine kleine, letzte Chance geben, bevor ich mich wieder in Richtung Zelt bewegen würde. Immerhin befand ich mich in einer Großstadt. – Eine Reggae-Party müsse es sein. Alles andere könne mich heute sicherlich nicht mehr überzeugen.

Wie dem auch sei. Der Abend verspielte seine Chance, ich war bereit fürs Bett und mit einem kleinen Umweg über meine Lieblings-Bahnhofskneipe, die ihr Pissoir offensichtlich immer noch nicht richtig repariert hatte aber zumindest schon mal einen kleinen Fortschritt in dieser Richtung verzeichnete, begab ich mich dann auch direkt dort hin. Also ins Bett. Granada wünschte ich nun eine gute Nacht. Ich freute mich bereits sehnsüchtig darauf, am nächsten Tag dem Großstadtdschungel endlich wieder den Rücken kehren zu können und in die Pampa zu verdampfen.

Pissoir

Bahnhofskneipe: Klobild – 2. Tag

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