Aus Zwei mach Eins

9. August 2016

Tag 44 – Von Tudela zum Lake Caspe

Gerade erst erhielt ich meine persönliche Absolution der katholischen Kirche und schon muss ich mich wieder mit den üblichen Todsünden herumschlagen. – Ich übertrieb es an dem heutigen Tag mit der Kilometerleistung ein ganz klein wenig in Richtung Maßlosigkeit.

Den Morgen über verweilte ich jedoch zunächst noch etwas in meinem Hotelzimmer, lud die restlichen Geräte mit der so dringend benötigten Energie auf und profitierte ein weiteres mal von dem kostenlosen Wlan. Als ich mich dann nach bereits zweimaligem Klopfen des Zimmerservice dazu entschloss, doch noch die Zimmertür zu öffnen und einen Kaffee in der Bar zu nehmen, war es bereits Mittag und ich musste zu meiner Verwunderung feststellen, dass sich das Wetter heute nicht gerade von seiner besten Seite zeigte. (Auf dem Hotelzimmer hat man davon absolut nichts mitbekommen, führte doch das einzige Fenster des Raumes, statt an die frische Luft, nur in einen anderen Raum.)

Auf der Strecke nach Saragossa blieb mir der Rückenwind trotz des schlechten Wetters glücklicherweise erhalten. So kam es, dass ich eigentlich den ganzen Tag einer Schlechtwetterfront hinterher radelte, die sich vor mir mit schweren Gewittern aufbaute, ich sie aber nie ganz erreichte. Nur ein paar mal war ich wohl etwas zu schnell und erwischte ein paar Regentropfen, ansonsten hatte ich wirklich Glück. Hinter mir machte sich bereits der Sonnenschein vom nächsten Tag breit und über mir befanden sich die komplette Zeit über gerade genug Wolken, um nicht zu sehr ins Schwitzen zu geraten.

Wie gesagt, der Wind war heute abermals mal mein Verbündeter auf der Strecke. Dank ihm war es mir überhaupt möglich irgendwann das durchzuziehen, was ich mir schon seit einigen Tagen vorgenommen hatte. Immer wieder begleiteten mich die markanten Felsformationen des spanischen Navarra und ab und an kreuzte ich auch den Ebro. Es dauerte gerade mal knappe 4 Stunden und ich hatte die ersten 100 km bis nach Saragossa hinter mich gebracht. Da ich nachmittags um halb 5 noch keine so rechte Lust verspürte, mein Nachtlager aufzuschlagen, entschied ich mich (nicht ganz spontan) einfach noch die Etappe vom nächsten Tag dran zu hängen und bis nach Chiprana weiter zu radeln. Dort, so vermutete ich nach einem kurzen Blick auf Google Maps, würde sicherlich ein netter Campingplatz auf mich warten. (Die Formel in meinem Kopf hierzu lautete: Campingplatz am See + Chiprana am See = Campingplatz bei Chiprana. – Wer sich diese Formel zum Beispiel im Sinne des Bodensees auf der Zunge zergehen lässt, kann sich leicht vorstellen, was mich am Ende des Tages erwartete.) Trotz meiner Müdigkeit, die ob der durchschriebenen Nacht heute etwas an mir nagte, hatte ich eh bereits den ganzen Morgen über Chiprana als Tagesziel im Kopf. Das würde mir nun endlich zu dem gewünschten Puffertag auf dem Weg bis zum Rototom zurück verhelfen. Um kurz vor 5 Uhr fehlten mir hierzu also nun noch knappe 100 km. Ein durchaus mögliches Unterfangen, wenn auch ein ziemlich knappes, denn um 9 Uhr ging die Sonne unter.

Ich schaltete also wieder auf Fahrradmodus, lies die Beine strampeln, der Kopf durfte zwischendurch ein bisschen dösen und hinter mir wanderte langsam aber stetig die Sonne hinter dem Wolkendach hervor, hinab gen Horizont.

Die Landschaft in Aragonien (besonders dort, wo sich der Ebro so langsam seinen Weg durch das Gebirge gen Meer bahnt) steht Navarra eigentlich in Nichts nach – bis auf dass es vielleicht etwas bergiger wird. Die Dörfer werden kleiner, die Straßen enger, die Rotphasen der Ampeln länger. Als ich durch die Ortschaft Sástago fuhr, die sich zwischen den immer ausufernderen Mäandern des Ebro in die Länge zieht, war ich froh daran, inzwischen eine gesunde Ignoranz entgegen der meisten Ampeln an der Tag zu legen. In der Stadt standen zu jener Zeit ausnahmslos alle Lichter auf Rot – und das konsequent. Mir war das egal (auf den Straßen war eh nichts los). Nur für den schwarzen SUV am anderen Stadtende hat sich der Abend wohl noch etwas in die Länge gezogen. Mit gutem Beispiel voran wartete er in etwa mit der selben Ausdauer auf das Ende der Rotphase, wie es sonst nur einem depressiven Roboter möglich ist, der geduldig, dem Ende des Universums in einem Parkhaus entgegen fröhnt.

Es wurde spät, sehr spät. An so mancher Stelle auf dem Weg kurz vor Sonnenuntergang überlegte ich mir, ob ich nicht einfach in einem netten Hostal, so wie gestern, einkehren solle. Aber ich hatte mir den Campingplatz als Ziel gesetzt.

Dieser lag wider meiner Erwartungen zudem leider nicht am Anfang des Lake Caspe, sondern an dessen Ende, was mir nochmal gute 25 km mehr Strecke bescheren sollte. Zudem wurde es so langsam wirklich dunkel. Die Sonne war gerade in ihrer Vollkommenheit hinter mir daran sich zu verabschieden und ich konnte ihr allemal ein paar kurze Blicke über die Schulter zuwerfen. Es war einfach absolut keine Zeit, auch nur einen minimalistischen Stopp einzulegen, um ihr meine Aufmerksamkeit zu widmen oder die Szenerie in einem schnellen Bild einzufangen. (Wie es die Ironie so will, hätte sich die Sache mit dem Foto im Nachhinein nun eh erledigt. Aber dazu später mehr.)

Als es gegen kurz vor 10 Uhr dann schlussendlich stockfinster wurde, hatte ich Chiprana bereits hinter mir gelassen und fuhr an der Ortschaft Caspe vorbei. Da mir immer noch gute 15 km bis zum Campingplatz bevorstanden, überlegte ich kurz, ob ich vielleicht doch dem Dorf für die Nacht einen Besuch abstatten solle. Keine Chance, ich wollte auf diesen Campingplatz. Auch wenn es höchstwahrscheinlich einen zusätzlichen kleinen Umweg im Sinne der nächsten Etappe bedeuten würde. Also hängte ich alle möglichen Taschenlampen und Blinklichter an mich und mein Fahrrad, schaltete die (ob des Gepäcks) kaum sichtbare Fahrradbeleuchtung an und machte jenes, was ich eigentlich tunlichst vermeiden wollte. – In der Nacht fahren. Ich kam mir vor wie ein fahrender Weihnachtsbaum. Die wenigen Autos, die mir unterwegs begegneten sahen das glücklicherweise genauso und machten einen großen Bogen um mich. Es herrschte absolute Nacht, am Horizont war allemal noch ein kleines Glimmen des Sonnenuntergangs erkennbar. Um mich herum war es ebenso still, nur mein kleiner Lautsprecher am Lenker durchbrach die Leere der Dunkelheit mit ein paar dezenten Reggae-Sounds. Ich bemerkte, wie sich in mir ein eigenartiges Gefühl der Abgeschiedenheit breit machte. Auf irgendeiner Bundesstraße in Aragonien war ich unterwegs, umgeben von trockener Luft und so gut wie keiner Sicht. Ich hatte kaum noch einen Tropfen Wasser übrig und auch mein Bauch machte mir den dringend nötigen Energienachschub mit einem Knurren seiner selbst mehr und mehr bewusst. Es sind diese Momente, wo man alles um sich herum vergisst und nur noch eines zählt: Ankommen. – Geniale Momente, die einen selbst und die ganze Welt um sich herum auf das wesentliche reduzieren.

Angekommen bin ich dann glücklicherweise doch irgendwann. So gegen halb 11 Uhr muss es wohl gewesen sein, als ich auf dem Campingplatz eintrudelte und mir mit viel Glück grade noch so eine Übernachtungsmöglichkeit gegen Personalausweis einheimsen konnte. An der Bar herrschte allerdings noch ein reges Treiben, zeigte man dort gerade doch das Fußballspiel Madrid gegen Sevilla, was hierzulande wohl einiges an Aufmerksamkeit einforderte. Zusätzlich gab es an der Bar eine Maß (!) Bier für schlappe 5 Euro. So stand einer ehrwürdigen Feier meiner selbst nach der heutigen Gewaltetappe von sage und schreibe 207 km für den restlichen Abend nichts mehr im Wege. Prost!

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