Karma Baby!

Tag 9 – Von Cognin-les-Gorges nach Charmes-sur-Rhône

Tolle Ortsnamen, die ich mir da doch immer wieder spontan zur Übernachtung aussuche. Doch hatte Charmes-sur-Rhône seinen Charme wohl spätestens bei den Lyoner Ölraffinerien verloren. Denn obwohl der Campingplatz eigentlich ganz nett war, Charme hatte er keinen.

Wie dem auch sei, der Tag begann ja auch nicht in Charmes, sondern in Cognin. Und das recht zäh, also ebenfalls ohne Charme.

Aus dem morgendlichen Vorhaben noch etwas zu arbeiten wurde mal wieder nichts, zu sehr prallte bereits die Sonne herab und hüllte alles in ein gleißendes Licht. Immerhin Alfred konnte ich noch mit ein paar wenigen Tropfen Restöl und etwas Zahnseide zu der so bitter nötigen Geschmeidigkeit verhelfen. Jene, die ich am Vortag so leidlich vermisst hatte.

Als dann alles geputzt, verstaut und gepackt war, fiel mir ein etwas größerer Spalt ins Auge, der sich längs an meinen Packtaschen breitzumachen drohte. Um ehrlich zu sein: Das ganze Gepäck war eigentlich schon fast wieder dabei heraus zu purzeln, noch ehe ich es richtig verstaut hatte.

Das sieht nicht gut aus.

Ohne zu übertreiben, sah ich mich in der Tat mit einem kleineren größeren Problem konfrontiert. Denn bis auf eine halbe Rolle Gewebeklebeband hatte ich nicht wirklich etwas dabei, was auch nur im entferntesten dabei geholfen hätte, die Packtaschen auf die Schnelle wieder zusammenzuflicken.

Das hat man nun von der Gepäck-Einsparerei, so mein Gedanke: Ersatzschläuche en Masse, Ersatz-Kettenglieder, Ersatz-Bremsbeläge, sogar eine Ersatz-Batterie für den Tacho hatte ich eingepackt, aber natürlich keine Ersatz-Gepäcktaschen. – Nun denn, wer diese mitnimmt, hat sicherlich noch ganz andere Probleme.

Gaffer-Tasche

Da es an alternativen Lösungen also schlichtweg mangelte, durften sich meine Taschen nun einer zweiten Außenhaut erfreuen. Denn hier galt fortan eindeutig die goldene Regel: Viel hilft viel. – Sprich, ich kümmerte mich erst gar nicht groß darum, alles noch irgendwie zu putzen bzw. von dem fiesen Staub zu befreien, sondern fing einfach direkt mit kleben an. Ich wickelte soviel wie nur irgendwie möglich von dem Panzertape drum. Solange bis kein Platz mehr übrig war oder eben das Klebeband alle war. Das würde zwar sicherlich nicht für die Ewigkeit halten, aber lange genug auf jeden Fall. Und wenn nicht? Nun ja, wenn es soweit wäre, hätte ich ja immer noch genug Zeit, mir dann Gedanken darüber zu machen.

Alfred der Silberpfeil

Wie man sieht wird Alfred also zunehmend zum Silberpfeil. Nun ja, immerhin den Schriftzug meines Blogs kann man noch lesen.

(Nachtrag: Das ganze Klebeband-Fahrradtaschen-Schlamassel hielt wirklich erstaunlich lange. Und zwar den ganzen Sommer über. Und wer hätte es gedacht: Auch im Herbst konnte man besagte Packtasche noch ganz gut beladen, wenn auch nur mit Leichtgepäck.)

Deutlich verspätet (gedankt sei es der in die Jahre gekommen Klebenaht meiner zwei VAUDE Taschen, von denen ich mir wirklich etwas mehr erhofft hatte) ging es schlussendlich doch noch los. Immerhin, Alfred rollte dank der frischen Ölung heute wie am Schnürchen, selbst auf der Ebene.

Es hätte ein wirklich schöner gemütlicher Radfahrtag werden können, wäre da nicht der Gegenwind gewesen, der plötzlich auffrischte. – War ja irgendwie klar, dass sowas kommen musste.

Starken Gegenwind hielt ich bisher immer so ziemlich für die größte Widrigkeit, die einem während einer Radtour so begegnen kann. Doch, wie konnte es anders sein, würde ich mich heute überraschenderweise eines besseren belehren lassen. Zwar kommt man, wie wir alle bereits wissen, mit Gegenwind eher schlecht als recht voran. Selbst der eine oder andere steile Berg ist da meist willkommener. Was der Berg dem Wind aber schuldig bleibt ist ein schlichtes Wesen seines Seins, nämlich des Windes an sich. (Jetzt wird’s philosophisch.) Sprich, man stelle sich zum Vergleich einen Anstieg bei knapp 40 Grad im Schatten (oder in der Sonne, das macht es auch nicht besser) bis auf über 1000 Höhenmeter vor. – Ganz sicher keine lohnenswerte Alternative, nicht mal zum Gegenwind. Trieft einem ob des fehlenden Windes der Schweiß während eines solchen Anstiegs doch schneller in Strömen herunter, als man seine Wasserreserven aufbrauchen kann. (Soviel zum Thema Philosophie.)

Doch genauso hätte sich der Tag heute abspielen können, wenn ich beim ursprünglichen Plan, das Vercos-Gebirge zu durchqueren, geblieben wäre. Nun gesellte sich an diese Stelle eine Fahrt gegen den Wind. – Wenn man es sich recht überlegt, eigentlich ein sehr schlechter Tausch: wenig Aussicht, keine Abfahrt, kein Gefühl der Höhe, weder im einfachen, noch im doppelten Sinne. Stattdessen ein Ventilator, der einem mit knapp 40 Sachen ins Gesicht bläst. Hatten wir das nicht schonmal? Will man das? – Oh ja, das will man! Um ehrlich zu sein, es ist das absolut beste, was einem bei dieser Hitze passieren kann!

Aussicht auf den Vercors

So strampelte ich also Kilometer um Kilometer um die Berge herum, freundete mich mit der Idee an, dass die Aussicht auf die Berge, doch eigentlich mindestens genauso gut ist, wie die Aussicht von den Bergen herab und genoss die frische Brise in meinem Gesicht. Jene, deren Abstinenz mir bei einer Fahrt über den Vercors, wie bereits gesagt, mit Sicherheit den Schweiß ins Gesicht getrieben hätte.

Comment survivre la canicule, Teil 2: Freiluftbaden

Da es den Bauern mit ihren Feldern während dieser Gluthitze nun kaum anders erging, als mir auf dem Bike, konnte ich mich zudem noch an der einen oder anderen Bewässerungsanlage erfreuen, deren Weg ich kreuzte. – Immer wieder ein kleiner erfrischender Höhepunkt auf so einer Reise und inzwischen eigentlich auch schon fast Tradition.

In gewisser Weise konnte ich mich auch mal wieder meiner CaminoCleanup-Aktion widmen, die bisher ja leider noch etwas in den Startlöchern feststeckte. Dem Jakobsweg, so schien es, war ich jedenfalls gar nicht so fern. Immerhin 1 Pilger konnte ich am Vortag beim überqueren einer Brücke ausmachen. Also mal ein bisschen Müll aufsammeln…

Eine Kiste voller Karma

An einem Parkplatz, der in der Vornacht deutlich an einer Party gelitten hatte, machte ich also Halt und füllte meine Tomatenkiste mit allerlei Unrat inklusive ein paar leerer Plastikflaschen. Soweit so gut. Bis jetzt, so könnte man meinen, sei nichts spezielles passiert. Aber das Gefüge des Universums kam bereits ins Rollen.

Nur wenige Meter später kreuzte ich auf einem kleinen Parkplatz entlang der Hauptstraße einen fliegenden Händler. Einen Obststand jener Sorte, den man sich an solch anstrengend heißen Tagen besonders herbeisehnt. Ich wühlte bereits mit meinen Augen in der Auslage, als mich der Händler mit kritischer Miene fragte: „Et ça va la flotte, t’en a assez?“
Ich ignorierte ihn höflich, da ich nicht so recht wusste, was er denn jetzt genau meinte und stellte mir lieber ein paar leckere Pfirsiche und Aprikosen in meinem Mund vor.
Er insistierte: „Toujours quand il y a des cyclistes qui me croisent, ils ont jamais assez de flotte.“
Jetzt wollte ich dann doch mal genauer wissen, was er denn mit „flotte“ meinte. Er deutete daraufhin auf die leeren Plastikflaschen in meiner Kiste und erwähnte ein weiteres Mal den kritischen Zustand, in dem sich diese offensichtlich befanden: allesamt leer und das bei diesen Temperaturen.

Der Erklärungsversuch meinerseits, ich hätte jene zuvor auf einem zugemüllten Parkplatz aufgesammelt, blieb mir just im Hals stecken, als er mir eine große Flasche lecker kühles Wasser aus seiner Eisbox für den weiteren Weg anbot. – Die saftigen Pfirsiche, wer hätte es gedacht, waren auf einmal gar nicht mehr so wichtig, wanderten dann aber dennoch in einer Vorratstüte an meinen Lenker. Das Wasser nahm ich ebenfalls dankend an.

So, und jetzt sag mir nochmal einer, Müll aufsammeln wäre nicht gut fürs Karma. Hätte ich keine leeren Plastikflaschen in meinem Korb gehabt, wäre der nette Verkäufer nie auf die Idee gekommen, mir seine Reserve-Flasche Wasser zu schenken. All das also nur weil ich einen knappen Kilometer zuvor ein kleines Stück Natur von diversem Unrat befreit hatte. Ich sage euch Leute, ich steh auf diese Art Philosophie!

Als ich kurz nach Portes-les-Valences dann endlich die Rhône erreicht hatte, schien die Bergkette des Massive Centrals nun auch endlich dem Wind ein bisschen Einhalt zu gebieten. So rollte ich für den Rest des Tages mehr oder weniger gemütlich südwärts, den frühen Abendstunden entgegen, als mir spontan zu meiner Rechten ein Campingplatz begegnete. Hübsch gelegen war er zwar nicht und eigentlich auch nicht das offizielle Ziel des Tages. Jenes lag noch knappe weitere 10 km südwärts. Allerdings, so dachte ich mir, was interessiert mich bitteschön die Lage eines Campingplatzes, wenn das einzige, was ich wirklich will, ein Platz zum schlafen und ein kühles Bier ist. Essen hatte ich vom Vortag noch im Gepäck und die Stimmung an der Bar erschien ebenfalls recht einladend. Außerdem fehlte der so wichtige 3 Stern in der Campingplatzkategorie, was meistens eine einigermaßen vernünftige Preisklasse versprach.

Wie man sieht, hat meine Isomatte inzwischen ein eingebautes Kopfkissen.

So ging der Tag also zu Ende, in Charmes-sur-Rhone. Ohne jeglichen Charme, dafür aber mit dem originellem Stil eines Vorstadt-Campingplatzes und ein paar alteingesessenen Boules-Spielern, die sich gegenseitig, nicht ganz ungleich einer Partie Billard, die Kugeln vom Platz fegten.

Kleiner Nachtrag (nur weil ich ihn sonst nicht mehr unterkriege): Als wäre es mit der Flasche Wasser an diesem Tag nicht bereist genug gewesen, fand ich kurz vor der abendlichen Ankunft noch eine leckere Gurke und eine mindestens doppelt so große Zucchini, die ein Kleingärtner wohl in Ermangelung von eigenen Verbrauchsmöglichkeiten auf einer Bank entlang des Weges hungrigen Passanten offerierte. Meinen Korb voll Müll hatte ich in der Zwischenzeit fein säuberlich in diverse Container verteilt, so war also auch wieder genug Stauraum für frisches Gemüse vorhanden und das Abendessen des nächsten Tages konnte bereits erste Formen annehmen.

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