Der Anfang der Welt

1. August 2016

Tag 36 – Vom Kap Finisterre nach Santiago de Compostela

Tja, wie das bei so einem Morgen halt ist, er lässt sich Gott sei Dank nicht vermeiden (höchstens man schafft es bis zum Mittag oder vielleicht noch etwas länger durchzupennen). Ich freute mich über die ersten Sonnenstrahlen, die über die Bucht zu mir herüber schienen und etwas Wärme versprachen. Ob ich gut geschlafen hatte, das wollte ich zu dieser Uhrzeit lieber noch nicht beurteilen. Am liebsten hätte ich mich am Campingplatz sicherlich noch für ein paar Stunden ins Zelt gekuschelt, aber diesen Abstrich musste ich wohl hinnehmen.

Kap Finisterre am Morgen
Wenn man mal von der morgendlichen Müdigkeit absieht, ist so ein Erwachen am Ende der Welt, die ungenügsame Nacht allemal wert. Die Felsen und der Leuchtturm erscheinen nun in einem ganz anderen Licht. Es ist zwar noch recht frisch, aber es erwartet einen sicherlich ein schöner Tag, der mit viel Sonnenschein verwöhnt.

Bereits während des gestrigen Abends hatte sich mein Blickwinkel auf das Kap Finisterre (das Ende der Welt) gravierend verändert. – Denn, so sagte ich mir, würde man das Ganze einfach von einem anderen Standpunkt heraus betrachten, wäre es nicht mehr das Ende der Welt, sondern ihr Anfang. (Eigentlich klingt das recht logisch und wenn man will vielleicht auch etwas einfältig. – Trotzdem muss man da erst mal drauf kommen.) Diese Weisheit (eine bedeutende Erkenntnis auf meiner Reise) lässt sich im übrigen auf so vieles im Leben übertragen. Und mit demselben Gedanken besiegelte ich nun auch meine Rückkehr. – Ich starte nun hier, am Anfang der Welt. Jetzt bin ich gespannt wo mich mein Weg hinführt.

Kap Finisterre
Zunächst führte er mich zurück zum Campingplatz, wo mein Zelt verlassen auf mich wartete. Wie gern hätte ich mich da in diesem Moment reingelegt. Stattdessen baute ich es ab und nahm mit einem Kaffee und einer heißen Dusche vorlieb. Wie, als wäre ich an diesem Morgen kurz mal komplett „reseted“ worden, stellte sich spontan ein akutes Manko an unglaublich nötiger Energie bei mir ein. – Die Pinchos vom Vorabend waren wohl nicht genug gewesen, um meinen immensen Nahrungsbedarf zu stillen. Nachdem ich also zwischen den Welten leicht taumelig mein Fahrrad bepackte, gönnte ich mir erst mal noch einen weiteren Kaffee, inkl. Orangensaft und einem großen Hamburger. Zwar würde sich dieser ausgedehnte Mittagssnack sicherlich bei der Ankunftszeit in Santiago bemerkbar machen, aber bessert spät am Ziel ankommen, als irgendwo unterwegs auf der Strecke bleiben.

Bis die Kalorien, die ich mir zugeführt hatte ihre Wirkung zeigten, verging allerdings noch eine knappe Stunde. So befand ich mich während des ersten Teils der Strecke nahezu in einem Trance-ähnlichen Zustand. – Meditatives Fahrradfahren würde es wohl ganz gut treffen. Ich hörte die Playlist an, die ich gestern Nacht verschlafen hatte und hangelte mich Zentimeter um Zentimeter mit meinem Fahrrad die Straße hinauf, ohne das ich es richtig merkte. Ich fand sogar richtig Gefallen an dieser neuen Form des Fahrradfahrens. Selbst auf die Strecke musste ich nicht groß achten, fuhr ich doch nur jene zurück, die mich gestern bereits hergeführt hatte. Und so wurde ich irgendwann Eins mit den Bergen, dem Rhythmus und dem Wind. – Ohne Scheiß, es war nahezu faszinierend, wie ich nach dem Energieloch, in dem ich am Vormittag noch gesteckt hatte, in so einen Flow geraten konnte. – Natürlich hat jeder Flow auch irgendwo seine Grenzen und so musste ich irgendwann mit ein paar leckeren Pfirsichen und Keksen nachhelfen. Aber das sei hier nur am Rande erwähnt.

Ich kam, wie ich es erwartet hatte, etwa gegen 8 Uhr abends in Santiago an und spielte kurz mit dem Gedanken, mir eine zweite Compostela zu holen (nur so zur Sicherheit). Wäre ich zu Fuß vom Kap gekommen, hätte ich auch sicherlich eine bekommen.

Eine Compostela – nur mal so nebenbei – ist im Übrigen die Urkunde, die man in Santiago nach erfolgreichem Absolvieren des Jakobswegs erhält. 100 km zu Fuß oder 200 km zu Pferd oder Stahlross müssen es nachweislich sein, sonst hat man keine Chance auf die Absolution. Deswegen auch die ganze Sache mit den Stempeln und der Schnitzeljagd.

Erhält man nun im Pilgerbüro in Santiago seine Pilgerurkunde (was im Prinzip nicht ganz unähnlich der Zeugnisausgabe in der vierten Klasse an einem Samstagmorgen abläuft – damals hatte wir Samstags noch Unterricht) werden einem im Folgenden all seine Sünden, die man auf Erden bis dato begangen hat vergeben. Man muss nicht einmal zur Beichte (wenn ich das richtig verstanden hab). Ne prima Sache! – Leider hat sich auf meiner Compostela ein kleiner Fehler eingeschlichen: Dort steht nämlich, dass ich, Jan Tobias Traunecker, nach einem langen und schweren Pilgerweg nun in Santiago angekommen, die Basilika (die Kathedrale) besucht hätte. – Hab ich aber gar nicht. Ich hab darauf ob des ganzen touristischen Rummels drum herum lieber verzichtet. (Meinen kleinen Moment in einer absolut leeren Kirche im Baskenland hatte ich bereits. Und den wollte ich mir beim besten Willen nicht verderben. – …mal abgesehen von den unmöglichen Uhrzeiten der Pilgergottesdienste.)

Ich hab sie (die Basilika) also nur von außen betrachtet. – Zählt das auch? Oder schleicht sich hier schon wieder die erste Sünde ein? „Du sollst nicht lügen.“ Also alles nochmal von vorne? – Ich lass das jetzt einfach mal so im Raum stehen. Ein Leben ohne Sünde scheint wohl kaum möglich. Selbst dann nicht, wenn einem gerade alle vergeben wurden. Im selben Moment hat man schon wieder die nächste auf dem Buckel. Eine zweite Compostela hilft da auch nicht viel.

Ich kehrte an diesem Abend relativ zügig auf dem Campingplatz ein, da ich noch ein paar Sachen erledigen wollte (wie zum Beispiel Alfred zu einem neuen Ständer zu verhelfen). Um ein Haar hätte ich mich mit einem Holländer verschwätzt, der meinte, er wäre innerhalb von 18 Tagen hier nach Santiago geradelt, mit einem Stadtrad (es war wirklich nur ein Stadtrad) und einen Ständer würde er auch nicht benötigen. Den hätte er schon seit langer Zeit abmontiert. Das spare ein bisschen Gewicht. – Ich nahm ihm das alles auch gerne ab. Wer innerhalb von 18 Tagen von Holland nach Santiago radelt, der braucht auch keinen Fahrradständer. Wirklich abstellen müsse man es dann ja auf der Strecke eh nicht.

Außer dem Decathlon (der dieses Mal ausnahmsweise wirklich einmal hatte, wonach ich suchte) stattete ich noch dem Carrefour im örtlichen Einkaufszentrum „As Cancelas“ einen Besuch ab. Man benötigt wirklich einiges an Selbstkontrolle um diese Tortur zu überstehen. Mal abgesehen davon, dass man mindestens eine halbe Stunde beschäftigt ist, seinen Kram in den verschieden Regalreihen (teils mit über 100 verschiedenen Milchsorten) zusammenzusuchen (und die Frühstücksflocken am Ende doch vergisst), möchte man, nach einem Radfahrertag wie heute, am liebsten alles, von Wurst bis Käse, Joghurt und Gemüße, Orangensaft und Bier, gleich in sich hineinstopfen/saufen und nur die leeren Verpackungen zum Zahlen an der Kasse vorlegen. – Keine denkbar gute Idee bei all dem Security-Aufgebot. Wer genießen will, übt sich also in Gedult.

Als kleiner Witz am Rande lässt sich erwähnen, dass man in Spanien neuerdings für seine Einkaufstüten an der Kasse 5 Cent berappen muss. An sich keine schlechte Idee und sicherlich ein guter Anfang, um den Umweltgedanken mal ein bisschen unter den Leuten zu schüren. – An der Obsttheke wird allerdings genauso akribisch darauf Wert gelegt, dass man jedes Gemüse, ob Banane, Avacado oder Zwiebel in separaten Plastiktüten verpackt. – Und da war er wieder der Umweltgedanke (vergebens)… – Bis er zurückkehrt, kann ich sicherlich noch ein paarmal gemütlich bis in die späten Abendstunden kochen. Eventuell ist auch die eine oder andere Compostela drin.

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