Hippies oder nicht Hippies?

3. Oktober 2016

Die Tage in Órgiva

Órgiva gefiel mir eigentlich recht gut. Auch der Campingplatz, übte mit den wenigen Gästen, die von der Saison übrig geblieben waren, oder sollte ich besser sagen, jenen, die sichtlich eine Alternative zur Alternative, nämlich in Beneficio zu leben, suchten, einen recht entspannten Eindruck auf mich aus. So war da zum Beispiel Alberto, ein von oben bis unten tätowierter Mann (darauf lies zumindest sein Gesicht schließen), der mal wieder ein vorzügliches Beispiel dafür abgab, das sich Hunde und deren Besitzer eben doch nicht so ganz unähnlich sehen. – Was jetzt um Gottes Willen nicht heißen soll, der Hund wäre tätowiert gewesen. Nein! Er war nur mindestens genauso gemütlich drauf wie sein Herrchen und geizte auch nicht mit einem ebenso gemütlichen Gesichtseindruck.

Mit Alberto unterhielt ich mich ausgiebig über die Berge der Sierra Nevada. Er hatte zwar im Grunde genommen keine Ahnung, was er da von sich gab. Aber die hatte ich auch nicht. Wir spekulierten also über meine Tour, die ich am nächsten Tag nun wirklich antreten wollte. (Wohl gemerkt, nach dem ursprünglichen Plan, war das nun schon der übernächste Tag.)

Ich meinte also, sie würde da lang gehen (und zeigte auf einen Berg). Er meinte, sie würde eher da lang gehen (und zeigte auf einen anderen Berg). In Wirklichkeit ging sie in etwa durch die goldene Mitte der beiden Berge, aber das wusste zu besagtem Zeitpunkt eben einfach noch niemand. Denn die goldene Mitte verbarg sich, vom Tal aus betrachtet, hinter einem ganz anderen Berg, den man vom Tal aus überhaupt nicht sehen konnte. Im Grunde genommen sah man überhaupt nichts von der Tour.

Die Dörfer, die ich mutmaßlich auf der Strecke passieren sollte, entpuppten sich als völlig andere Dörfer und die Berge eben als völlig andere Berge. Wenn man es aufs Wesentliche herunterbricht, gleicht die Sierra Nevada eigentlich nichts anderem besser, als einem großen, knapp 3500 Meter hohem Kuhfladen. Deswegen war es vom Tal aus unmöglich auch nur ansatzweise jenes zu erkennen, was einen einige 1000 Meter höher erwarten würde. Die konvexe Beschaffenheit eines Kuhfladens, versperrte einem schlicht und ergreifend die Sicht.

Würde sich die Sierra Nevada nicht in Spanien, sondern in Neuseeland befinden, hätte man ihr in der Sprache der Maori vielleicht einen ähnlichen Namen gegeben, wie eben auch dem dort befindlichen Ort mit dem längsten Namen der Welt: Taumatawhakatangihangakoauauotamateaturipukakapikimaungahoronukupokaiwhenuakitanatahu.

Das ist kein Witz. Übersetzt heißt das ganze in etwa soviel wie: „Der Ort, an dem Tamatea, der Mann mit den großen Knien, der Berge hinabrutschte, emporkletterte und sie verschluckte (wohl die Berge), bekannt als der Landfresser, seine Flöte für seine Geliebte spielte“. (Quelle: Wikipedia) – Ich war mir zwar sicher, dass er in der ursprünglichen Übersetzung vom Lonely Planet die Flöte für seinen Bruder spielte aber mit der Zeit schleichen sich eben ein paar Fehler ein. Ob jetzt hier oder da, wer weiß das schon.

Die Sierra Nevada könnte man dementsprechend so ähnlich nennen, nur hätte der Name dann eben etwas mit einem Kuhfladen zu tun und über den Flötenspieler würde man schlicht hinwegsehen.

Wie dem auch sei, bevor ich mir die Sierra zu Herzen nehmen wollte, stand ja eigentlich noch der Besuch in Beneficio an, ebenfalls nicht unwesentlich hoch auf den Ausläufern des Kuhfladens gelegen. Doch dazu sollte es nie kommen.

Wie? Dazu sollte es nie kommen??? Ursprünglich bin ich doch mal nach Órgiva geradelt um mir genau jenes anzuschauen. – Nun ja, so können sich Pläne ändern…

Irgendwie verspürte ich nach der durchzechten Nacht vom Samstag schon seit ein paar Tagen nicht mehr so viel Lust darauf, abermals in der Anonymität des Individualismus zu versinken. Die Menschen, denen ich auf dem Campinplatz begegnete und die offenbar das Weite von Beneficio suchten, trugen ihr übriges dazu bei. Allen voran Stefan, der ziemlich erschöpft vom Berg hinab schlappte und seinen Trolley auf der Suche nach einer heißen Dusche hinter sich her zog.

An der heißen Dusche sollte es zwar nicht liegen, dass ich mich von Beneficio verabschiedete hatte, noch bevor ich es besuchen würde, jedoch an meinem festen Vorhaben am morgigen Tag nun endlich die Sierra Nevada zu erklimmen. Die Erzählungen über die Hippie-Kommune vermittelten mir nicht gerade den Eindruck, als würde ich mich von dort aus am nächsten Tag putzmunter und wohl ausgeruht auf 2600 Höhenmeter hoch bequemen. Zudem war Montag und Roberto meinte, Montags findet dort immer eine große Party statt. (Eigentlich gar nicht so schlecht für einen Montag.)

Nun denn Beneficio, dich werde ich wohl ein andermal besuchen. Man soll sich ja bekanntlich immer etwas für das nächste Mal aufheben.

Stattdessen verbrachte ich den Abend mit Stefan, einer Gruppe angereister, radfahrender Franzosen, die sich ebenfalls die Sierra Nevada antun wollten (allerdings auf Umwegen) und gegen später einem weiteren Cyclotouristen, der etwa zur selben Uhrzeit auf dem Campground eintrudelte, wie ich das zum Teil auch zu tun pflege. Mitten in der Nacht.

Man kann sich schon vorstellen, dass sich der Abend inmitten einer solch bunten Gesellschaft etwas in die Länge zog. Aber eben nicht so lang, wie das wahrscheinlich in Beneficio der Fall gewesen wäre.

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