Die Sierra Espuña

22. September 2016

Von El Berro nach Lorca

Der nächste Tag begrüßte mich mit einem ordentlichen 14 km langen Anstieg bis auf etwa 1200 Höhenmeter. Ohne die frischen Trauben, die mir die nette Dame aus dem Tante-Emma-Laden geschenkt hatte, hätte ich es wohl nicht geschafft. Riesen Dank an Fina (so heißt sie glaub ich – zumindest hieß ihr Laden so: „Combustibles Fina“ …oder eben so ähnlich).

Sierra Espuna
Ich liebe Nationalparks. Sie schaffen so eine kleine, heile Welt innerhalb der teilweise doch recht grotesken, großen um sie herum. Zudem erinnern sie mich immer (manchmal mehr, manchmal weniger) an meine Weltreise vor guten 10 Jahren – denn nirgendwo wird das Thema Nationalpark mit so viel Liebe zum Detail gelebt, wie in den USA, Australien und Neuseeland (Kanada gehört sicherlich auch noch dazu, aber dort war ich noch nicht). Ich freute mich also über ein paar nostalgische Momente, als ich mich den Berg hoch quälte. – Man muss schließlich in allem das Positive sehen. Und bei dem einen oder anderen Blick in die tiefen Täler war dies mehr als ersichtlich. – Eine schöne Abwechslung zur kargen Wüstenlandschaft.

Sierra Espuna
Umso schöner, wenn man oben angekommen, den ganzen Berg ohne Umwege wieder hinunter fahren kann. Die zeitliche Diskrepanz zwischen beiden Etappen ist zwar immer wieder erstaunlich: Man müht sich gute 2 bis 3 Stunden ab, bis man oben ist und hinunter geht es so rasant, dass man sich wahrscheinlich nicht einmal ein halbes Bob Marley Tape (sofern es sowas heute noch gibt) anhören könnte. (Der Vergleich hinkt – besser wären bei der Geschwindigkeit wohl eher die Red Hots.) Wie dem auch sei, ich hörte an diesem Tag überhaupt keine Musik. Ich genoss einfach nur die Stille. Es war wunderschön, kein Geräusch, nichts. Außer dem eigenen Schnaufen und den paar Teilen am Fahrrad, die mal wieder eine ordentliche Ölung vertragen würden, war nichts zu hören.

Gottesanbeterin
Unten angekommen war ich wieder… Na wo? In der Wüste. Die Weintrauben vom Morgen brachten mich auf den Geschmack und so fiel es mir denkbar schwer an all den überdachten Weinfeldern vorbeizufahren, wo ebenfalls dicke, saftige Trauben darauf warteten, zu der örtlichen Spezialität verarbeitet zu werden, ohne auch nur ein paar von ihnen zu naschen. Denn alle waren sie hinter dichten Zäunen.

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Die inländischen, spanischen Straßen waren an diesem Tag mal wieder wie leergefegt. Ein Paradies für Fahrradfahrer. Natürlich überholen einen immer dann genau drei Omnibusse auf ihrem Weg wer weiß wohin, wenn man gerade mal gemütlich Halt machen will, um ein paar hübsche Fotos zu schießen. Aber das sei hier nur am Rande erwähnt.

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Der weitere Weg führte mich in etwa exakt Richtung Süden, dem Wind entgegen, näher und näher an die nicht gerade sehr beschauliche Stadt Lorca. Das, was Mallorca für den Ballermann-Touristen ist, ist Lorca wahrscheinlich für die Bergbau-Industrie. Es blieb einem kaum Luft zum Atmen, so stauberfüllt war sie, die Luft (ein mögliches Synonym für Luft, zwecks einem ordentlichen Schreibstil, erscheint mir hier überflüssig).

Lorca begrüßte mich also im Norden von seiner industriellen Seite her. Im Stadtinneren hatte es zwar ein paar touristische Attraktionen zu bieten, so eine Burg und noch ein anderes burgähnliches Gebäude, was ich aber ohne innezuhalten rechts liegen ließ. Zudem fand gerade eine Feria statt. Sprich, für den Durchgangsverkehr waren die Straßen mehr oder weniger gesperrt. Ich bequemte mich mit meinem Fahrrad trotzdem hindurch. Vorbei an diversen Plätzen, wo die eine oder andere Musikgruppe, die es nie so recht zum Durchbruch geschafft hatte, mal mehr, mal weniger Menschen unterhielt. Ein schönes Spektakel. Hätte ich Lust auf ein bisschen Feierei gehabt, hier hätte ich sie am Abend sicherlich gefunden.

Der innerstädtische Verkehr barg so seine Tücken. Allem voran ein Auto, das vor mir ohne ersichtlichen Grund einfach anhielt. Ich begrüßte diese Gemütlichkeit seinerseits mit einem unverhofften Bremsmanöver meinerseits und schaffte es abermals nicht rechtzeitig aus den Fußschlaufen zu steigen, ehe das Gewicht meines Fahrrads auch schon wieder Bekanntschaft mit der Schwerkraft machte. Ich hatte dieses Manöver zwar bereits am Vortag (sowie einige Male zuvor) geübt, aber dass ich nun mitten in der Stadt wie ein hilfloses Insekt volle Breitseite rechts unter meinem Fahrrad landen und den Sturz nun schon zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen auf der eh schon ramponierten Hand abfangen muss, war mir gar nicht recht. Von überall her strömten die Passanten herbei und fragten mich, ob alles in Ordnung sei, während ich verzweifelt meine rechte Fußschlaufe unter dem Fahrrad zu lösen versuchte. In solchen Momenten wünscht man sich ordentlich auf Spanisch fluchen zu können, einfach nur um den Leuten zu verstehen zu geben, dass, bis auf die Peinlichkeit der Situation, wirklich alles in Ordnung sei und man allerhöchsten so langsam in Betracht ziehe, sich ein paar neue Schuhe zuzulegen. Solche, die nicht immer in den Schlaufen hängen bleiben. Es half aber alles nichts. Die Flucherei begnügte sich mit „Tengo problemas con…“ („los zapatos“ wäre die Antwort gewesen) aber das interessierte schlussendlich auch niemanden mehr, als ich mich leicht missmutig unter meinem Rad hervor schob, mir die rechte Hand vor Schmerzen irgendwo hin drückte und gemächlich weiter meines Weges fuhr. Nur weg von hier. – Die Blicke eines kleinen Mädchens, die das ganze Geschehen von der anderen Straßenseite aus beobachtete, sprachen Bände: „Der arme Irre mit seiner zerfetzten Hose, jetzt wird er auch noch unter seinem Fahrrad begraben…“

südlich von Lorca
So ging es also recht zügig wieder aus Lorca heraus. Was einen dort in südlicher Richtung erwartete, war allerdings nicht viel besser als die Industrielandschaft im Norden. Die Luft war erfüllt mit dem Gestank von Geflügelfarmen, das breite Tal, was sich vor mir erstreckte, wusste nicht so recht, ob es nun zur Stadt gehören will oder nicht (vereinzelte Siedlungen soweit das Auge reichte) und der Campingplatz, den ich ansteuerte war allemal 500m von der Autobahn entfernt. Was ein Campingplatz hier verloren hatte, wollte zwar nicht so recht in meinen Kopf, aber er war schließlich der einzige weit und breit, spottbillig noch dazu und Wlan inklusive. Was will man mehr? (Außer vielleicht ein paar Ohrstöpsel oder ein Räucherstäbchen… oder beides.)

Die Nacht verarschte mich ein wenig (sofern das einer Nacht möglich ist). – Da meine Luftmatratze inzwischen mehr Loch- als Luftmatratze ist, versuchte ich es in dieser Nacht mal wieder mit der Hängematte, wo ich zu den Klängen eines Hörbuches von Stephen Hawking (ja man bildet sich weiter auf so einer Reise) auch sehr schnell einschlief. Wie man sich allerdings denken kann, ist der Schlaf, den man findet, während einem die abgrundtief komplizierten Gesetze der Physik erklärt werden, nicht gerade sehr geruhsam. So wachte ich alsbald nach etwa 3 Stunden Quasselei (von denen ich gute 2 ½ Stunden verpennte) wieder auf und wunderte mich, ob der Uhrzeit auf meinem Handy (dieses zeigte etwa halb 6 Uhr morgens an), warum es denn immer noch so stockfinster war. Außerdem war es mir völlig unverständlich, wie ich zu Stephen Hawking die ganze Nacht verpennen konnte, ohne es zu merken. Ich schaltete also das Hörspiel ab, versuchte es abermals mit der Hängematte und entschied mich eine gute Stunde später (kurz bevor mein Wecker klingelte) dann doch noch für das Zelt. Es war immer noch stockfinster. – Nanu? Soweit war ich innerhalb des letzten Tages ja sicherlich nicht nach Westen geradelt, dass sich die Zeitverschiebung nun derart markant bemerkbar machen würde. Um 8 Uhr klingelte mein Wecker. Draußen war es immer noch tiefste Nacht. – Jetzt erst bemerkte ich, dass mein Handy eine völlig falsche Uhrzeit anzeigte. Wie ich das bemerkte, ist mir im Nachhinein recht schleierhaft. Ich hatte jedoch am Vorabend kurz mal den Akku aus dem Handy herausgenommen und die Zeit hatte sich nicht, wie gewohnt, von selbst aktualisiert. In Wirklichkeit war es also erst halb 6 Uhr morgens und ich konnte noch gute zweieinhalb Stunden die Augen zumachen (was ich bereitwillig auf dreieinhalb Stunden ausdehnte). – Ich fühlte mich ein bisschen wie früher in der Schule, wenn man morgens zur Ersten aufsteht, nur um daraufhin festzustellen, dass man erst zur Dritten hat. Zwei Stunden geschenkt! Yeah!

 

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