Wüstenkur

20. September 2016

Von Villajoyosa nach Los Banos de Fortuna

Ohne dabei irgendwie kleinlich zu wirken, würde ich sagen, ich befinde mich in der Wüste. Die großangelegten Plantagen von Zitrusfrüchten und dem ganzen anderen Krimskrams, was nur in den sonnenverwöhnten Regionen Spaniens wächst, habe ich unlängst hinter mir gelassen. Vereinzelt gibt es sie noch, sie stehen hier und dort am Wegesrand, doch immer öfter machen sie leckeren, leider meist eingezäunten Granatäpfel-Hainen sowie vereinsamten Dattelpalmen platz. Der Rest ist trockene Hügellandschaft. In der Ferne klaffen ein paar ebenso abgeerntete Berge, die davon Zeugnis tragen, dass der Mensch selbst in den unwirtlichsten Regionen, dem Boden noch irgendetwas abgewinnen will. Dort, wo es absolut nichts zu holen gibt, wird fröhlich Müll abgeladen. So wird sich wohl irgendwann in ferner Zukunft auch die Berglandschaft durch Menschenhand so drastisch verändert haben, dass sie ein völlig neues Höhenprofil aufweist. Spätestens dann sollte man seine Navigationskarten sicherheitshalber mal aktualisieren um die neu entstandenen Berge und Täler nicht ganz zufällig einfach zu übersehen. Doch nun genug von der ökologischen Schwarzmalerei.

Wüste
Die Nacht verbringe ich heute in Los Banos de Fortuna (die Bäder des Glücks), einem Thermalkurort, wie schon gesagt, mitten in der Wüste. Ein bisschen hatte ich ja gehofft, heute Abend in einer Sauna oder ähnlichem einkehren zu können, um meine müden Knochen etwas auszuspannen, auch wenn das mitten in der Wüste vielleicht ein klein wenig verquer wirkt. Leider verteilen sich die lokalen Wellness-Anlagen aber nur auf die ortsansässigen Hotels, von denen ich mich, wie man sich denken kann, nur wenig angezogen fühle. Mal davon abgesehen, fühle ich mich im modischen Sinne ebenfalls nicht entsprechend angezogen, was einen kurzen Hotelbesuch betreffen würde. Meine kurze Hose, mit der ich bereits seit Anbeginn der Reise so gut wie jede Etappe bewältige, ist inzwischen nicht viel mehr als ein Stofffetzen, der an meinen Beinen herunterbaumelt, zudem noch mit einem riesigen Loch am Hintern. Nicht wirklich schick ,aber immerhin zeitlos (wenn man so was mag). Eigentlich bin ich froh wenn ich in diesem Outfit überhaupt noch Zutritt zu irgendetwas bekomme. Ich hatte mir zwar vorgenommen, mit der vor einer gefühlten Dekade gekauften und nun innerhalb von 4400 km heruntergeradelten Hose, auch den Rest der Strecke bis nach … (eigentlich weiß ich das noch gar nicht so genau) zu bewältigen. Aber abgesehen davon, dass sie jetzt ziemlich luftig ist, sehe ich damit wirklich aus wie der letzte Landstreicher auf Abwegen vom Jakobsweg. Um diesem Image wenigstens ein bisschen treu zu bleiben, habe ich mir heute von ein paar weggeworfenen Klamotten am Straßenrand, ein ordentliches Stück Jeanshose runter geschnitten, mit dem ich nun versuchen werde, die gröbsten Löcher zu stopfen. Man darf gespannt sein, was dabei herauskommt. Vielleicht reiche ich alsbald eine kleine Kollektion bei Karl Lagerfeld ein. Wer weiß? Aber vom Nähen hab ich nun wirklich keine Ahnung. In diesem Sinne: Kleiderspenden sind willkommen! – Per Express bitte an den Camping las Palmeras in Los Banos de Fortuna. (Sollte die Post irgendwann mal einen retro-temporalen Service anbieten, könnte ich diese dann auch wirklich beherzt entgegennehmen. Da ich diesen Bericht aber sicherlich nicht heute veröffentlichen werde und es mit etwa der selben Wahrscheinlichkeit, der Post innerhalb der nächsten Jahre wohl kaum gelingen wird, Pakete in der Zeit zurück zu versenden, behaltet eure Klamotten lieber bei euch bzw. spendet sie für irgendeinen gemeinnützigen Zweck.)

Oase
So bin ich also hier in „Los Banos“ (wie ich es des Schreibflusses fortan nennen werde) und wurde auf der Strecke nun schon zum dritten Male mit einem platten Hinterreifen innerhalb der 3 Tage gesegnet, während denen ich mich mit meinem Fahrrad nach gut zweieinhalb Wochen Pause in der Villa Entspania wieder auf die Straße bequemte. Kein schlechter Schnitt (nur mal so am Rande bemerkt). Das neue Hinterrad aus einem Bike-Shop in Villa Joyosa, hat zwar nun endlich keine Freilaufprobleme mehr (es schnurrt geradezu so sanft wie ein Kätzchen), allerdings hatte man wohl bei aller Euphorie, endlich eine passende 28“ Felge gefunden zu haben, vergessen, sie mit einem (nicht gerade unwichtigen) Laufband auszustatten. (Für alle, die nicht wissen, was das ist: Es ist dieses unscheinbare Plastikband, was sich zwischen Felge und Schlauch gesellt.) In diesem Fall waren die Bohrungen für die Speichen in der Felge rasiermesserscharf – ohne das nötige Laufband nicht gerade von Vorteil für einen Fahrradschlauch.

Nach der ersten Panne, tauschte ich diesen ob der späten Stunde und dem Ort des Geschehens (am Rande einer Schnellstraße) einfach aus, ohne mich weiter um die Ursache zu kümmern. Die zweite Panne beäugte ich dagegen schon etwas kritischer, schliff den Grad an den Bohrungen mit einem improvisierten Schleifstein weg und klebte guter Dinge mein restliches Gewebeklebeband in die Felge. Den Schlauch selbst reparierte ich ausnahmsweise mal mit etwa 5 (teilweise halbierten) Flicken. Das sollte halten. Nach der dritten Panne legte ich logischerweise (großzügig, wie ich nun mal zu mir bin) eine kleine Siesta ein, schloss mein Rad im Park ab und kaufte mir im Supermarkt um die Ecke ein Desperados und eine neue Rolle Panzertape.

Panne
So eine Siesta verbringt man selten allein. Einige Parkbummler beäugten argwöhnisch das ganze Schlamassel und boten mir mitunter auch eine kleine, persönlich zusammengestellte Auswahl an Klebeband aus ihrer Garage an. Den ramponierten Schlauch warf ich nun endlich in die Tonne und auf die Felge gesellten sich nochmal zwei weitere Lagen Klebeband. Jetzt dürfte nichts mehr schiefgehen. Sollte es besser auch nicht – das war mein letzter Schlauch.

In Los Banos unternahm ich gegen späten Abend noch einen kleinen Ausflug in Richtung Shop, der wahrlich minimalistisch anmutete. Viel mehr als ein paar Konserven und eine einsamen Flasche Bier in der Tiefkühltruhe, war dort nicht abzugreifen. Die leeren Regale erinnerten mich ein wenig an meine Zeit auf der Karibikinsel Martinique, als dort ein Generalstreik tobte und der Großteil aller Geschäfte geschlossen hatte. Diejenigen, die heimlich trotzdem ihre Tore öffneten, waren so schnell ausverkauft, dass auf eine Regalreihe meist nur eine Dose Pilze kam. Damals half es nichts und man musste bei der Essensauswahl regelrecht improvisieren. So gab es zum Frühstück beispielsweise Würstchen aus der Dose mit Crackern und etwas Schmierkäse. Irrwitzigerweise bekamen alle Urlauber, als der Streik zwei Wochen später vorüber war und man in der Supermarktauswahl wahrlich ertrank, erst einmal durch die Bank weg Durchfall. Die Verdauung musste sich offenbar erst wieder von der rudimentären Kost entwöhnen.

Los Banos
Los Banos ist schon ein recht seltsamer Ort. Ich glaube nirgendwo sonst in der Wüste trifft man abends auf Gruppen von Senioren, die in Bademänteln auf den Straßen herumstehen und sich über die positive Wirkung des Thermalwassers austauschen. Zu später Stunde war ich selbst dann noch kurz auf der Suche nach den so genannten „Naturpools“, wo man ohne Eintritt zu zahlen, unter freiem Himmel seinen geschundenen Knochen in chlorfreiem Thermalwasser etwas Entspannung gönnen kann. Natürlich fand ich sie nicht. Natürlich war mir das egal. – Die Hängematte, die ich auf dem Campingplatz unter zwei Palmen aufgespannt hatte, würde meinen Knochen schon genügen. Natürlich hing sie neben dem örtlichen Katzenklo, was der abendlichen Entspannung so seine ganz eigene Duftnote aufdrückte. Aber an derlei Gerüche muss man sich in dieser Gegend wohl gewöhnen und das eine oder andere Nasenloch zudrücken.

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